Schloss Agathenburg -
Das Herz des Festivals

Schloss Agathenburg wurde unmittelbar nach dem dreißigjährigen Krieg durch Hans Christoph von Königsmarck errichtet. Für ihn war das Dorf Lieth, so der damalige Name, der ideale Wohnsitz, da es in unmittelbarer Nähe zur Residenz und Verwaltungszentrale Stade lag. Mit Fertigstellung des Schlosses 1655 wurde das Dorf nach der Ehefrau Hans Christophs, Agathe von Leesten, in „Agathenburg“ umbenannt. Nur drei Generationen derer von Königsmarck lebten auf Schloss Agathenburg. Bewohnt wurde das Schloss in erster Linie vom weiblichen Teil der Grafenfamilie.

Die berühmteste weibliche Bewohnerin des Schlosses ist Maria Aurora von Königsmarck. Die Enkeltochter des Schlosserbauers wurde 1662 in Stade geboren und verbrachte die ersten Jahre ihrer Kindheit in der Region. An den Adelshöfen Europas erlangte sie später großes Ansehen und Einfluss. Ihr zu Ehren ist Schloss Agathenburg als „frauenORT“ anerkannt. Die Initiative des Landesfrauenrates Niedersachsen e. V. macht damit auf Orte aufmerksam, die sich durch das Wirken bedeutender Frauen wie Maria Aurora von Königsmarck auszeichnen.

Mit Maria Auroras Bruder Philipp Christoph endete die Erbfolge der von Königsmarck: Nachdem er 1694 vermutlich einem Mord zum Opfer fiel, erlosch der erbberechtigte, männliche Stamm der Grafenfamilie.

Die Auseinandersetzungen um den Besitz in Agathenburg zogen sich bis 1704. Danach blieb das Schloss in Familienbesitz, bis das Kurfürstentum Hannover 1740 Gebäude und Ländereien erwarb. Seit 1753 diente das Schloss jeweils dem ersten Beamten des Amtes Stade-Agathenburg als Wohn- und Amtssitz.

Nach dem Ende des hannoveranischen Staates 1866 blieb das Schloss zunächst verpachtet, bis es elf Jahre später an mehrere Agathenburger Bürger versteigert wurde. 1881 konnte es der Landwirt Heinz Wilkens erwerben, nachdem sein Hof dem Bau der Eisenbahnlinie Hamburg-Cuxhaven weichen musste. Damals wurde auch der heute unmittelbar am Schloss stehende Pferdestall aus der Marsch an seinen jetzigen Platz versetzt. Haus und Park blieben beinahe hundert Jahre in Privatbesitz.

Ein Brand zerstörte 1921 das Schloss so schwer, dass nur noch die Außenmauern und das Kellergewölbe erhalten blieben. Den Wiederaufbau führten die Eigentümer Hans und seine mit ihm frisch vermählte Frau Sophie (1895-1983) zum Felde mit großer Umsicht durch. Im Zuge der Baumaßnahmen erhielt der Treppenturm seine heutige Gestalt.

Nach dem Tod von Sophie zum Felde fiel das Erbe des Schlosses und der Anlage an den Stader Geschichts- und Heimatverein. 1985 übernahm der Landkreis Stade das Anwesen. 1991 öffneten sich die Türen von Schloss Agathenburg zum ersten Mal für das Publikum. Seither ist das Schloss ein Ort, an dem sich Geschichte und zeitgenössische Kultur begegnen – mit einer Vielfalt an herausragenden Kulturveranstaltungen.

 

Maria Aurora von Königsmarck

Eine Spurensuche

Aurora, zu ihrer Zeit so etwas wie das „It-Girl“ des 17. Jahrhunderts, ist heute beinahe in Vergessenheit geraten.

Was bewegte diese außergewöhnliche Frau? Wer war diese kreative Künstlerin, Muse und Mäzenin, die zeitlebens unkonventionelle Wege beschritten hat, um sich ihre Unabhängigkeit zu bewahren?

Als Enkelin von Hans Christoph Graf von Königsmarck erblickt Aurora am 28. April 1662 in Stade an der Elbe das Licht der Welt und verbringt mit ihrer Schwester und zwei Brüdern eine unbeschwerte Kindheit auf dem nahegelegenen Schloss Agathenburg.

Der Großvater begründet den legendären Ruf der Familie. Er kämpft als einer der erfolgreichsten Generäle während des 30-jährigen Krieges für die Schweden, erringt 1648 den entscheidenden Sieg. Er wird durch die Schwedische Krone in den Adelsstand erhoben und zusätzlich mit 2 Millionen Reichstalern und ausgedehnten Ländereien in Norddeutschland fürstlich entlohnt. Damit ist er einer der reichsten Männer Nordeuropas und lässt sich in Norddeutschland auf seinem Landsitz Agathenburg nieder – ein schlichtes Barockschloss mit Backsteinfassade und einem eindrucksvollen Barockgarten.

Aurora ist ein aufgewecktes Kind mit einem unstillbaren Wissensdurst und vielfältigen künstlerischen Talenten. Sie wird in eine Zeit des Aufbruchs hineingeboren, in der es durchaus begrüßt wird, wenn auch die Töchter des Adels eine angemessene Bildung genießen.

Schließlich stellt die Konversation mit einer geistreichen Frau eine Bereicherung dar, deren Vorzüge die adelige Männerwelt durchaus zu schätzen beginnt.

Aurora ist hier eine Lichtgestalt, sie sieht nicht nur umwerfend aus, sie spricht auch noch fünf Sprachen fließend, malt, dichtet und begeistert sich für die Musik. Sie spielt Clavichord, Laute und singt ganz hervorragend. „Sie spielet und singet so angenehm, daß die Musen selbst beschämt zurückweichen“, schreibt Georg Christian Lehms in seinem Lexikon „Teutschlands galante Poetinnen“.

Aurora von Königsmarck ist 11 Jahre alt, als ihr Vater während eines Militäreinsatzes stirbt.

Ohne männliche Autorität im Haus und zur ungeliebten schwedischen Besatzungsmacht gehörig, könnte es also für die Familie ungemütlich werden im beschaulichen Stade.

So beschließt Auroras Mutter umzuziehen. Zunächst nach Hamburg, damals schon eine lebendige Handelsstadt, die ein umfangreiches kulturelles Angebot zu bieten hat, insbesondere durch das neu gegründete Opernhaus am Gänsemarkt (übrigens das erste städtische Opernhaus auf deutschem Boden).

Mutter von Königsmarck mietet sogleich eine Loge und besucht mit ihren Töchtern regelmäßig die Aufführungen.

Auch an den seinerzeit üblichen und zahlreichen Bällen, Maskeraden und Salons nehmen die Damen von Königsmarck rege teil.

Als Aurora 18 Jahre alt ist, zieht es die Mutter zurück nach Schweden. Sie ist dort geboren und hofft, sich dort besser um die verbliebenen Besitzungen der Familie kümmern zu können.

Schweden ist durch den 30-jährigen Krieg zu einer Großmacht aufgestiegen, zudem möchte man sich am Königshof von dem Ruf befreien, ein „ungebildetes Wikingervolk“ zu sein.

So erlebt Stockholm eine kulturelle Blütezeit, Künstler aller Sparten und aus aller Welt lassen sich dort nieder.

Die Schwestern von Königsmarck, sogleich nach der Ankunft bei Hofe eingeführt, erregen auch hier großes Interesse.

Besonders Aurora, sie dichtet und inszeniert eine Aufführung mit Musik und Tanz zu Ehren der Königin Ulrike Leonora. Diese wiederum ist so begeistert von Auroras Talenten, dass sie ihr den Beinamen „Schwedische Nachtigall“ gibt.

Diese widmet sich mit Leidenschaft der Dichtkunst, nimmt Kompositionsunterricht und vertont biblische Texte.

Ebenso macht sie sich als in Hochadelskreisen bestens vernetzte „Eventmanagerin“ einen Namen, organisiert legendäre Feste für den schwedischen Königshof.

Doch leider enden die unbeschwerten Jahre in Schweden, als zunächst der ältere Bruder mit nur 27 Jahren einem Fieber erliegt, das Vermögen der von Königsmarcks stetig schwindet und schließlich auch noch die Mutter verstirbt.

Aurora, inzwischen 30 Jahre alt, beschließt nach Hamburg zurückzukehren.

Hier versucht ihr jüngerer Bruder Philipp Christoph von Königsmarck nach Kräften, seine Schwester standesgemäß zu verheiraten. Doch obwohl sie aufgrund ihrer Schönheit und ihres sprühenden Geistes zu den am meisten umschwärmten Frauen ihrer Zeit gehört, hat sie wenig Lust, sich zu vermählen.  Zu sehr liebt sie ihr lediges und weitestgehend unabhängiges Leben, welches sie viel lieber der Kunst widmet, als einem Ehemann.

In der Hamburger Kulturszene ist Aurora prominent, organisiert Lesungen, Konzerte und Festivitäten. Sie ist eine perfekte Netzwerkerin, unterhält Beziehungen zu vielen bedeutenden Adelshöfen, ebenso wie zu zahlreichen Diplomaten, Kaufleuten und Künstlern.

Für die Komponisten Johann Mattheson und Reinhard Keiser wird sie zur Muse und Mentorin, sie schreibt ihnen Texte und Empfehlungsschreiben für exponierte Anstellungen. Beide Herren widmen ihr zum Dank mehrfach Kompositionen.

Aurora genießt ihr freies Leben als Künstlerin und Muse und ist ein gern gesehener Gast bei den damals sehr beliebten Karnevalfesten, besonders am Hannoverschen Hof. Denn auch Ernst August von Hannover schwärmt in den höchsten Tönen von der schönen Aurora – sehr zum Missfallen seiner Gattin.

Doch gerade hier in Hannover ereignet sich einer der größten gesellschaftlichen Skandale des 17. Jahrhunderts und zugleich einer der traurigsten Schicksalsschläge im Leben Auroras.

Ihr jüngerer Bruder, der überaus attraktive und galante Philipp Christoph Graf von Königsmarck verstrickt sich in eine glühende Liebesaffäre mit einer Jugendfreundin, der Hannoveraner Erbprinzessin Sophia Dorothea.

Diese wurde aufgrund politischer Interessen mit ihrem Cousin Georg Ludwig (dem späteren König Georg I von England) verheiratet und führt eine sehr unglückliche Ehe.

Doch Eheglück war in Adelskreisen selten der Grund von ehelichen Verbindungen und gerade diese Verbindung steht unter dem Schutz von Kurfürst Ernst August von Hannover, gilt es doch, weitere illegitime Nachfahren zu verhindern, um das Erbe nicht zu gefährden.

Als nun das Liebespaar Sophia und Phillip Fluchtpläne schmiedet und gemeinsam „durchbrennen“ will, kommt es zur Tragödie.

Auroras Bruder kehrt von einem Besuch bei seiner Geliebten in Hannover nicht zurück, gilt fortan als verschollen.

Heute weiß man, dass Philipp im Auftrag von Ernst August ermordet und dann vermutlich in der Leine entsorgt wurde.

Eine prekäre Situation für Aurora. Einerseits seelisch tief getroffen vom rätselhaften Verschwinden ihres Bruders, können die von  Königsmarckschwestern andererseits das Erbe ihres Bruders nicht antreten, solange dieser nicht offiziell für tot erklärt wird.

In dieser Situation nimmt Aurora Kontakt zu Philipps letztem Dienstherrn auf, dem sächsischen Kurfürsten Friedrich August, besser bekannt als August der Starke. Sie reist nach Dresden, verspricht sich neue Erkenntnisse und Unterstützung im Fall von Königsmarck. Der Besuch bringt jedoch keine Erhellung, denn auch in Dresden geht man stillschweigend von einem gewaltsamen Tod von Königsmarcks aus.

Wohl aber führt die Begegnung mit August dem Starken zu einer sprühenden Liebesaffäre. Der 8 Jahre jüngere Kurfürst von Sachsen schickt sich an, Dresden zu einer der glanzvollsten Residenzen Europas zu machen. Versailles sowie der höfische Stil des Sonnenkönigs sind seine Vorbilder: üppig, pompös und prachtvoll.

Dresden wird unter August dem Starken zur barocken Hauptstadt und einem zentralen Ort barocker Architektur, Kunst und Musik.

Da ist es nicht verwunderlich, dass dieser aufstrebende Herrscher hingerissen ist, von der überaus geistreichen und mit zahlreichen Talenten ausgestatteten Aurora. Er beginnt, sie nach allen Regeln der Kunst, heftig zu umwerben.

Aurora wird schließlich seine erste offizielle Mätresse. Im absolutistischen Staatsgefüge bekleidet sie damit quasi ein öffentliches Amt, nimmt an Staatsempfängen teil und wird zu einer politischen Akteurin mit Einfluss und einem ansehnlichen Gehalt.

Doch sie weiß auch, dass sie klug und diplomatisch agieren muss, denn die Leidenschaft eines Mannes kann schnell erlöschen.

So bringt Aurora das diplomatische Kunststück fertig, sowohl Augusts Gemahlin, als auch seine Mutter für sich einzunehmen.

In Dresden ist Maria Aurora ebenfalls wieder Eventmanagerin, organisiert Feste und die überaus beliebten Karnevalveranstaltungen, begleitet August auf Reisen und knüpft auch hier interessante Kontakte.

Doch die Beziehung hält nur zwei Jahre, endet 1696, als Aurora im dritten Monat schwanger ist (pikanterweise zur gleichen Zeit, wie auch Augusts Ehefrau).

Aurora wird so mit 34 Jahren das erste und einzige Mal Mutter. Als unverheiratete Frau und Ex-Mätresse bringt sie ihr Kind in Goslar inkognito zur Welt – damals ein Zeichen weitreichender Emanzipation.

Nach kurzer Zeit schickt sie ihren Sohn Moritz samt Amme nach Agathenburg, einer ihrer Lebenskreise schließt sich.

Ein weiteres diplomatisches Glanzstück gelingt Aurora, indem sie August den Starken dazu bringt, Moritz als leiblichen Sohn anzuerkennen. Damit verleiht er Mutter und Kind gesellschaftliche Rehabilitation, sichert dem Sohn eine standesgemäße Erziehung und erhebt ihn schließlich in den Grafenstand.

Hermann Moritz von Sachsen wird später in Frankreich am Hofe Ludwigs XV eine steile militärische Karriere hinlegen, als Maurice de Saxe zum französischen Nationalhelden aufsteigen und für seine Dienste ein schmuckes Loire-Schlösschen geschenkt bekommen.

Auch der Damenwelt ist Moritz zugetan, besonders die Pariser Schauspielerinnen haben es ihm angetan. Mit der Aktrice Marie Rinteau bekommt er die uneheliche Tochter Marie Aurore. Ebendiese Marie Aurore wird einmal die Großmutter der Schriftstellerin und Feministin George Sand, welche wiederum Zeit ihres Lebens ihre schöne Ururgroßmutter Maria Aurora für ihren freien Geist und ihren unabhängigen Lebensstil verehrt.

Aurora strebt indessen eine Karriere als Äbtissin im Stift zu Quedlinburg an. Sie wird nicht jünger und möchte endlich zur Ruhe kommen. Quedlinburg ist ein kaiserliches und freies Reichsstift, als Äbtissin wäre es Aurora weiterhin möglich, ein freies und unabhängiges Leben zu führen. Noch dazu ist Äbtissin ein hohes politisches Amt, welches Reisen ermöglicht und ein gutes Einkommen sichert.

Die Voraussetzungen sind gut: August der Starke ist der weltliche Schutzherr des Klosters und Auroras langjährige Freundin Anna Dorothea als amtierende Äbtissin, würde sie gerne als Nachfolgerin sehen.

Doch leider entrüsten sich die aufgebrachten Stiftsdamen zu sehr: eine ausgemachte „Partylöwin“ als Stiftsleiterin, das ist dann doch zu viel des Guten.

Aber immerhin wird Aurora zur Pröpstin gewählt, in der Stiftshierarchie das zweithöchste Amt, welches ihr die gleichen Freiheiten nebst hohem Ansehen bringt und mit 4000 Reichstalern jährlich ebenfalls gut entlohnt wird.

Mit 38 Jahren ist Maria Aurora somit endlich unabhängig von männlichen Verwandten, Vormündern oder Liebhabern und bekleidet zudem ein Amt, welches ihr gesellschaftliche Anerkennung bringt.

Sie reist weiterhin viel, besucht Messen, knüpft Kontakte und widmet sich Zeit ihres Lebens besonders der Dichtkunst und der Musik.

Mit den alten Weggefährten, den beiden Hamburger Komponisten Mattheson und Keiser steht sie weiterhin in regem Kontakt, Johann Mattheson besucht seine Mentorin mehrfach in Quedlinburg.

Mit zunehmendem Alter verlässt Aurora das Stift kaum noch, Krankheiten und Schwäche nehmen zu. Im Februar 1728 schließlich stirbt Maria Aurora von Königsmarck in Quedlinburg im Alter von 66 Jahren.

Sie hat ein unkonventionelles Leben geführt, welches auch aus heutiger Sicht als durchaus emanzipiert gelten kann. Ebenso war Aurora eine freigeistige Intellektuelle, einfühlsame Diplomatin und vielseitige Künstlerin: Dichterin, Musikerin und Komponistin.

Und trotz vieler Verluste, die sie in ihrem Leben zu verkraften hatte, hat sie sich niemals aufgegeben, sondern immer wieder einen Weg gesucht, um ein freies und unabhängiges Leben führen zu können.

Welch beeindruckende Frau!